Wie orientiert man sich bloß im Straßenverkehr, wenn
man die Autos nicht sehen kann?
Wie bekommt man die Zahnpasta auf die Zahnbürste, wenn
man nicht sieht, wie viel Pasta aus der Tube quillt?
Wie steigt man Treppen, wenn man sie nicht sehen kann?
Und wie merkt man, dass die richtige Bushaltestelle
erreicht ist, wenn man nicht sieht, wo man gerade ist
und die Haltestelle nicht angesagt wird?
Diese und viele, viele Fragen mehr brannten den Schülerinnen
und Schülern der dritten und vierten Jahrgangsstufe
förmlich auf den Lippen, nachdem sie im HSU über
das Auge, das Sehen und Augenerkrankungen gesprochen
hatten. Das Arbeitsmaterial, Brillen, die eine Sehbehinderung
simulieren und viele Anregungen hatte uns der DBSV ‒
Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. ‒
kostenlos zur Verfügung gestellt. Gemeinsam mit
den HSU-Lehrerinnen besprachen diese Klassen bereits
im Vorfeld, wie das Auge funktioniert, wie sich Erkrankungen
am Auge äußern können und welche Probleme
Menschen mit einer Sehbehinderung haben. Schließlich
ist es nicht selten, dass Menschen erblinden oder ihre
Sehkraft deutlich eingeschränkt ist. Frau Falk,
die erste Vorsitzende für den Kreis Schleswig-Flensburg,
hatte die Begegnung Schule und Sehbehinderung angeregt
und organisiert.
Dann war es endlich soweit und drei Mitglieder des
DBSV kamen uns in der Schule besuchen. Hier konnten
unsere Schülerinnen und Schüler endlich alle Fragen
loswerden und bekamen viele sehr informative Antworten.
Mit viel Humor und einer großen Lebensfreude gaben uns
blinde und sehbehinderte Menschen einen Einblick in
ihren Alltag. Es wurde vermittelt, wie ein Leben ohne
Augenlicht gut gelingen kann und viele Hilfsmittel,
wie Lupe, sprechende Uhren und Telefone, besondere Gesellschaftsspiele
und Geldzählhilfen wurden gezeigt und ausprobiert.
Alle Kinder hatten sich mit der Braille-Schrift auseinandergesetzt
und schon probiert, in diesem Alphabet zu lesen und
zu schreiben. So ganz vorstellen, dass man nur mit den
Fingerspitzen die Buchstaben ertasten kann, konnten
sich einige Schüler aber dann doch nicht. Auf einem
Arbeitsbogen des DBSV war auch ein Satz geschrieben.
Ein Schüler der dritten Klasse flüsterte mir
vorher noch leise ins Ohr, wie dieser Satz lautete und
schließlich wurde er von unserem Besuch flink
ertastet und vorgelesen: „Da steht: Wie geht es
dir?“ Und nach einer Pause fügte er hinzu:
„Und jede Frage verdient auch eine Antwort! Mir
geht es großartig!“
Ein besonderes Erlebnis war es, mit einer besonderen
Schreibmaschine Braille- Schrift zu schreiben. Es war
eine fast mathematische Knobelei, denn die einzelnen
Punkte tragen Nummern und werden gemäß dieser
Nummerierung über die Tastatur in das Papier gestanzt.
Einige Schüler schrieben ihre Namen. Das war gar
nicht so einfach. Anschließend las unser blinder
Besuch vor, was die Schüler geschrieben hatten.
Und leider auch unsere Tippfehler ‒ aber das mit
einem breiten Lächeln im Gesicht.
Nachdem alle dritten und vierten Klassen diese Chance
auf ein Gespräch und das Ausprobieren verschiedener
Hilfsmittel genossen hatte, trafen wir uns alle in der
Aula. Dort wurden einige Spiele gespielt. Es galt, mit
einem Klingelfußball zwei sitzende Personen, die dem
Spieler verbal halfen, den Ball zu dirigieren, in Form
einer Acht zu umrunden. Anschließend spielten fast alle
Kinder eine Runde Kegelfußball. Obwohl wir noch kurz
vor dem Absenken der Augenbinde alle Kegel gesehen hatten,
war es gar nicht so leicht, sie tatsächlich auch zu
treffen.
Alle Schülerinnen und Schüler haben an diesem
Tag sehr viel mitgenommen. Am stärksten beeindruckten
die Anwesenden einige Aussagen der Teilnehmer: „Ich
hätte nicht gedacht, dass es so schwer ist, auch
nur ein paar Meter ohne zu gucken zu laufen“,
„Ich bewundere diese Menschen dafür, wie
gut sie alles schaffen“, „Dürfen wir
Sie wieder einladen?“. Aber auch die Aussage unseres
Besuches: „Wenn ich wählen dürfte, ob
ich sehen kann oder nicht, würde ich mich dafür
entscheiden, nicht zu sehen. Denn das wäre ja so,
als würde ein Sehender von heute auf morgen nicht
mehr sehen. Ich müsste alles von vorn lernen und
würde mich gar nicht mehr zu Recht finden. So schaffe
ich alles allein.“
DJ
|